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MdL Annette Karl im Interview mit "WELT"

Veröffentlicht am 19.12.2017 in Presse

Bild: BayernSPD-Landtagsfraktion

Laut einer Studie bleibt einer von neun Ausbildungsplätzen in Bayern unbesetzt. Warum ist das so und wo kann die Politik ansetzen? Ein Gespräch mit der SPD-Wirtschaftsexpertin Annette Karl. Elf Prozent der Ausbildungsstellen in Bayern bleiben unbesetzt. Das hat eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung ergeben, der sogenannte "Ländermonitor berufliche Bildung". Fast jede neunte Stelle ist das – nur in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist der Anteil größer.

Was kann die Politik tun? Die wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD im bayerischen Landtag, Annette Karl, sieht die Staatsregierung in der Pflicht, nicht nur bei der Zuwanderung, sondern auch bei Nahverkehrsangeboten auf dem Land.

Das Interview finden Sie https://www.welt.de/regionales/bayern/article171703238/Mangel-an-Lehrlingen-Gespraech-mit-SPD-Politikerin-Annette-Karl.html oder mit einem Klick auf weiterlesen 

 

WELT: Frau Karl, viele Lehrstellen in Bayern bleiben unbesetzt. Warum sollte ich als Unternehmer überhaupt noch ausbilden, wenn die Chancen so gering sind, geeignete Arbeitskräfte zu finden?

Annette Karl: Es gibt ja nicht nur einen Mangel an Lehrlingen, sondern generell an Fachkräften. Dem kann man natürlich am besten entgegenwirken, wenn man eigenes Fachpersonal ausbildet.

WELT: Gerade das scheint aber schwer, wie der „Ländermonitor“ zeigt. Woran liegt das?

Karl: Das hat mehrere Gründe. Zum einen boomt die Wirtschaft in Bayern, das bedeutet, dass viele Unternehmen um Auszubildende konkurrieren. Zum anderen haben wir ein Mismatch zwischen den Ballungszentren, die immer weiter expandieren, und den ländlichen Regionen, wo es wesentlich weniger Menschen gibt, die freie Stellen besetzen können.

WELT: Bayern ist ein Flächenstaat, die Entfernungen sind mitunter ziemlich groß. Wie kann man jemanden dazu bewegen, für einen Ausbildungsplatz Hunderte Kilometer von seiner Heimat wegzuziehen?

Karl: Die Probleme beginnen ja schon auf viel kleinerer Ebene. Das ist schon ein Problem innerhalb von Landkreisen. Mein Heimatlandkreis etwa, Neustadt an der Waldnaab an der Grenze zur Tschechischen Republik, hat einen Durchmesser von etwa 100 Kilometern. Im Westen gibt es große Firmen, aber ein junger Mensch aus dem Osten hat es schwer, dort einen Arbeitsplatz anzunehmen. Auf so eine eher geringe Entfernung zieht man nicht in ein Lehrlingswohnheim. Aber um zu pendeln, war die Nahverkehrsbindung zu schlecht.

WELT: Was können die Landkreise tun?

Karl: Im Nachbarlandkreis Tirschenreuth hat man zum Beispiel ein Mischsystem aus ÖPNV und Taxis eingeführt. Dann kam zum Beispiel ein kleinerer Bus, aber nicht regelmäßig, sondern nur, wenn man ihn angefordert hat. Das wurde sehr gut angenommen. Man muss aber auch sehen: Das ist definitiv nicht kostendeckend. Auf dem Land ist es schwieriger als etwa in München. Es gibt ja auch nicht so einen großen Bedarf. Ein Problem ist auch: Das Ganze ist ein Projekt. Die Finanzierung ist für einige Jahre gesichert. Danach, wenn sich die Leute schon daran gewöhnt haben, muss man sich wieder etwas Neues überlegen. Hier wäre der Freistaat gefordert.

WELT: Lehrlingswohnheime bauen, Nahverkehr auf dem Land stärken – wo könnte man noch ansetzen?

Karl: In manchen Berufen stellen die Lehrherren und –frauen extrem hohe Anforderungen. Die klagen dann darüber, dass die Schulen nicht ordentlich ausbilden. Vor allem Handwerker müssten sich viel stärker mit den Schulen vernetzen, damit die passgerechter auf die jeweiligen Berufe vorbereiten können. Es kann ja nicht sein, dass Leute von der Schule abgehen und den Dreisatz nicht beherrschen.

WELT: In den kommenden Jahren erwarten Experten auch eher geburtenschwache Jahrgänge in Bayern. Dann gibt es potenziell noch weniger Anwärter und Anwärterinnen auf freie Ausbildungsplätze.

Karl: Die Zuwanderung wird eine große Rolle spielen. Das ist ein Gebiet, das die Staatsregierung bislang völlig versemmelt. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das Menschen, die gut ausgebildet sind, die Chance gibt, in Deutschland zu arbeiten. Ohne, dass sie Asyl beantragen müssen. Im Moment ist das der einzige Weg. Und die, die Asyl beantragen, müssen in Bayern leichter arbeiten können.

WELT: An sich gibt es dafür ja die sogenannte „3+2-Regelung“. Wenn ein Geflüchteter eine Lehre angefangen hat, aber abgelehnt wird, darf er die Lehre zu Ende machen und dann noch zwei Jahre weiter arbeiten, damit die Ausbilder auch Planungssicherheit haben.

Karl: In der Theorie funktioniert das so. Bayern unterläuft die Regelung bisher aber, indem dann schnell abgeschoben wird, bevor die Lehre offiziell begonnen wurde. Das ist oft frustrierend für die Flüchtlinge, wenn dann in letzter Sekunde doch nichts aus der Ausbildung wird. Es handelt sich ja dann meistens gerade um die, die schon gut integriert sind, die gut Deutsch sprechen, die für sich selbst sorgen können und Steuern zahlen wollen. Gerade solchen Menschen muss man Möglichkeiten geben.

 

Das Interview führte Bernhard Hiergeist am 18.12.2017.

 

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